Der Kleiber

Mit „Kleiber“ wurde im Mittelhochdeutschen ein Handwerker bezeichnet, der Wände aus Lehm herstellt. Was das mit dem Singvogel zu tun hat, der in den Parks und Wäldern Deutschland zu sehen ist? Der Kleiber (Sitta europaea) übernimmt Bruthöhlen anderer Vögel. Um sich und vor allem seinen Nachwuchs zu schützen, verkleinert er den Eingang der Bruthöhle mit einer Mischung aus Lehm und Speichel, damit größere Feinde nicht mehr hindurchpassen.

Doch der Kleiber ist nicht nur als Handwerker besonders, sondern auch als Kletterer. Anders als Specht und Baumläufer kann er kopfüber an Bäumen hinunterlaufen. Dabei krallt er sich mit dem einen Fuß an der Rinde fest und macht mit dem anderen einen Schritt, anstatt mit beiden Füßen abzuspringen und sich dabei mit dem Schwanz abzustützen.

Das braucht der Kleiber zum Leben

Der Kleiber war nicht ohne Grund Vogel des Jahres 2006. Damals wie leider auch heute noch gilt er als Symbol für einen Lebensraum, der aufgrund einer intensiven und von Fichtenmonokulturen dominierten Forstwirtschaft, zunehmend bedroht ist.

Denn der Kleiber siedelt am liebsten in Rotbuchen- und Eichenwäldern mit einem möglichst alten Baumbestand. Hier findet er ausreichend Bruthöhlen und eine abwechslungsreiche Insektenwelt. Insekten sowie Spinnen bilden die Grundlage seiner Ernährung, vor allem zur Brutzeit. Seinen Nachwuchs füttert der Kleiber bevorzugt mit Raupen. Daneben benötigt der Kleiber auch pflanzliche Kost, auf die er vor allem in den Wintermonaten zurückgreift. Hier fällt seine Wahl oft auf Bucheckern.

Vielleicht habt ihr schon einmal Bucheckern in der Borke von Eichen steckend gefunden und euch gefragt: „Wie kommen die hier eigentlich hin?“ Um die Antwort vorweg zu nehmen: Der Kleiber war es mit hoher Wahrscheinlichkeit. Auf diesem Wege legt er sich nämlich Futterdepots für die kalte Jahreszeit an. Je größer die Artenvielfalt in seinem Lebensraum ist, desto besser geht es auch dem Kleiber. Sofern vorhanden, zählen beispielsweise auch Haselnüsse zu seinem Nahrungsspektrum.

Ein besonderes Erlebnis ist es, den Kleiber dabei zu beobachten, wie er Nüsse oder Bucheckern öffnet. Er hackt mit seinem spitzen Schnabel so lange auf ihnen herum, bis die Schale endlich auf ist. Gerade bei Haselnüssen kann das eine ganze Weile dauern. Seine Bewegungen erinnern dabei sehr an einen Specht, die Geräusche übrigens auch.

Der Kleiber ist auch abseits von Wäldern zuhause

Zum Glück ist der Kleiber relativ anpassungsfähig und somit in der Lage, sich neue Lebensräume zu erschließen. Sofern er einen Nistplatz und ausreichend Nahrung findet, besiedelt er auch Gärten, Parks, Baumhecken oder Alleen. Es gibt also einiges, was wir für den Kleiber tun können. Nisthilfen, alte Bäume mit Höhlen und ein Pflanzenangebot, das viele Insekten anlockt, sind vom Kleiber gerne gesehen. Ein so ausgestatteter Garten wird bestimmt einmal von ihm besucht. Und wer weiß, vielleicht lässt er sich sogar nieder 

Wie der Kleiber neue Gebiete erobert

Der Kleiber bleibt als Standvogel auch im Winter bei uns. Zu dieser Zeit lässt er sich besonders gut entdecken und beobachten. Das fehlende Grün der Vegetation ermöglicht uns Einblicke in das Leben dieses schönen Vogels, die im Sommer nur selten möglich sind. Doch auch für Standvögel wie den Kleiber gilt es, sich möglichst weit zu verbreiten. Irgendwann ist in einem Gebiet die höchstmögliche Populationsdichte erreicht. Wenn die Nahrung und Brutmöglichkeiten knapp werden, versuchen sich Jungtiere neue Lebensräume zu erschließen. Hierbei gibt es verschiedene Taktiken:

Beim Kleiber lassen sich häufig sogenannte Streuwanderungen beobachten. Hierbei ziehen vor allem junge Tiere in großer Zahl invasionsartig in eine Richtung. Eher selten kommt es vor, dass beteiligte Vögel wieder an ihren Ursprungsort zurückkehren. Der Kleiber wählt somit die Taktik, die wir aus vielen anderen Bereichen der Tierwelt kennen: Das einzelne Tier sucht den Schutz der Masse. Gemeinsam lassen sich neue Gebiete sehr viel einfacher erobern, als alleine.

Die Brut

Hat der Kleiber eine geeignete Bruthöhle gefunden und nach seinen Bedürfnissen eingerichtet, kann das Brutgeschäft beginnen. Je nachdem, wie viel Nahrung ein Revier bietet, legt der Kleiber bis zu 9 Eier. Die Zahl klingt erst einmal hoch. Relativiert wird diese Wahrnehmung allerdings schnell, wenn einem bewusst wird, mit welchen Feinden es der Kleiber zu tun hat. Zu ihnen zählen neben uns Menschen zum Beispiel Eulen, Falken, Sperber, Elstern oder Eichelhäher.

Sind die Eier gelegt, werden sie 14 bis 18 Tage bebrütet. Diese Aufgabe fällt bei den Kleibern dem Weibchen zu. Nach dem Schlüpfen halten sich die Jungtiere noch etwa 24 Tage in der Bruthöhle auf. Nun wird auch der Vater seiner Verantwortung gerecht. Denn die Versorgung mit Nahrung wird in dieser Zeit von beiden Elternteilen sichergestellt. Insekten und deren Larven stehen dabei hoch im Kurs.

Im Alter von etwa 4 Wochen verlassen die Kleinen ihre Eltern. Die Geschlechtsreife erreichen sie bereits am Ende ihres ersten Lebensjahres. Auch das hängt mit der hohen Gefährdung durch ihre Feinde zusammen. Nicht selten setzen Arten einer hohen Mortalität aufgrund von Fressfeinden eine frühe Geschlechtsreife kombiniert mit einer hohen Zahl an Nachkommen entgegen. Sofern die Gegebenheiten es zulassen, sucht der Nachwuchs sich in der näheren Umgebung seines Geburtsortes auch sein eigenes Revier.

Erste Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass der Kleiber sein Brutverhalten dem Klimawandel bereits angepasst hat. Waren Zweitbruten bei ihm einst die Ausnahme und kamen im Grunde nur dann vor, wenn die Erstbrut verloren ging, sieht es heute vielerorts schon anders aus. So beginnt der Kleiber gebietsweise etwa 10 Tage früher mit dem Brutgeschäft und investiert die gesparte Zeit sehr viel öfter als bisher in eine Zweitbrut. Ob sich dieser Trend fortsetzt und ob der Bestand des Kleibers im Allgemeinen vom Klimawandel profitieren wird, erfahren wir in der Zukunft.

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